Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist wohl der wichtigste Teilbereich des übergreifenden Themas work-life-balance. Für Unternehmen und deren Personalpolitik kann die Betonung der work-life-balance einen erheblichen Vorteil bei Rekrutierung und Motivation von Mitarbeitern, deren Loyalität sowie bei der Reduzierung von Fluktuation bedeuten.
Zu den Förderaspekten zählen dabei für alle Arbeitnehmer beispielsweise ein betriebliches Gesundheitsmanagement, das neben dem gesetzlich vorgesehenen Arbeitsschutz (Arbeitssicherheit, Arbeitszeit, berufsgenossenschaftliche Richtlinien) auch gesundheitlicher Prophylaxe, der Verringerung von Stress und der Verhinderung von Burn-outs dient.
Unter volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten steht im Mittelpunkt der work-life-balance die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, d.h. die Möglichkeit Erwachsener, sowohl den Anforderungen in Beruf und Karriere als auch denen des Lebens in und mit der Familie nachzukommen.
Politik und Betriebswirtschaft haben angesichts des demografischen Wandels erkannt, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geeignet, ja notwendiges Mittel ist, die Folgen des Alterns der Bevölkerung und die geringen Geburtenraten auszugleichen und so insbesondere das Arbeitspotential von Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu nutzen. Auch betrieblich gilt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zunehmend als harter Standortfaktor bei der Akquisition von Arbeitskräften. Der Vereinbarkeit von Beruf und Familie dient eine ganze Reihe von arbeitsrechtlichen (Schutz-)Gesetzen. Ein wichtiger Faktor sind die in Praxis bisher wenig beachteten Pflegezeitgesetze, die nachfolgend kurz dargestellt werden. Zum Pflegezeitgesetz liegt auch bereits eine erste höchstrichterliche Entscheidung durch das BAG vor.
Sowohl das Pflegezeitgesetz (PflegeZG) vom 28.05.2008 als auch das Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) vom 13.12.2009 schreiben als Ziel des jeweiligen Gesetzes ausdrücklich die „Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege“ fest und zeigen schon allein durch die zeitlich enge Reihenfolge, dass die Politik die Bedeutung dieses Feldes für die Beschäftigung von Arbeitnehmern und für die Gesellschaft erkannt hat.
1. Das Pflegezeitgesetz betrifft zwei unterschiedliche Ansprüche:
a) Bei akut auftretenden Pflegesituationen von nahen Angehörigen haben Beschäftigte das Recht, bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, um eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder die Pflege in dieser Zeit selbst sicherzustellen.
b) Bei längerer Pflege naher Angehöriger in häuslicher Umgebung besteht in Betrieben mit mehr als 15 Beschäftigten ein Anspruch auf eine Pflegezeit von bis zu sechs Monaten.
2. Berechtigt nach dem Gesetz sind nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch zur Berufsausbildung Beschäftigte sowie arbeitnehmerähnliche Personen und die in Heimarbeit Tätigen sowie ihnen Gleichgestellte.
3. Wer naher Angehöriger im Sinne des Gesetzes ist, ist in § 7 Abs. 3 des Gesetzes aufgeführt. Im Wesentlichen ist dort die Großfamilie mit Eltern, Kindern und Großeltern abgedeckt. Insgesamt werden 15 verwandtschaftliche Beziehungen enumerativ aufgezählt. Bemerkenswert ist, dass angesichts der zunehmenden Anzahl von „Patchwork-Familien“ sogenannte Stiefkinder und dementsprechend auch Stiefvater und Stiefmutter nicht aufgeführt sind. Ob dies angesichts des Art. 6 GG (Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung) zulässig ist, erscheint fraglich. Möglicherweise hilft aber auch hier richterliche Rechtsfortbildung.
4. Im Rahmen der Akutpflege (Freistellung für zehn Arbeitstage) ist dem Arbeitgeber auf Verlangen eine ärztliche Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit vorzulegen. Insoweit besteht dann für den Arbeitnehmer/Beschäftigten ein Leistungsverweigerungsrecht (vgl. oben).
Eine derartig akute Situation kann auch mehrfach auftreten und kann sich im Übrigen auch auf unterschiedliche Personen beziehen.
5. Durch das Pflegezeitgesetz wird dem Arbeitnehmer/Beschäftigten kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung während der Pflegezeit eingeräumt.
6. Da für die Ausfalltage kein Vergütungsanspruch besteht, sind für diesen Zeitraum auch keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Allerdings bleibt der Versicherungsschutz bestehen. Bei freiwilliger Krankenversicherung muss der Beitrag allerdings von dem betreffenden Beschäftigten in voller Höhe weiter entrichtet werden.
7. Pflegezeit
Bei entsprechender Betriebsgröße hat der Arbeitnehmer/Beschäftigte einen Anspruch, vollständig oder teilweise von der Arbeitsleistung freigestellt zu werden, wenn er einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegt; dies gilt sowohl für die Pflege im Haushalt des zu Pflegenden als auch im Haushalt des Pflegenden.
Der Anspruch auf Pflegezeit ist als Freistellungsanspruch ausgestaltet und somit vergleichbar mit dem der Elternzeit. Wie bereits oben dargelegt, muss der Beschäftigte vor Beginn der Pflegezeit schriftlich ankündigen und erklären, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang die Freistellung von der Arbeitsleistung erfolgen soll. Diese Erklärung kann je pflegebedürftiger Person nur einmal erfolgen; offen und streitig ist dabei, ob die Pflegezeit auf mehrere Zeitabschnitte verteilt werden kann (vgl. Bundesarbeitsgericht, 9 AZR 348/10). Hinsichtlich der Pflegebedürftigkeit kann der Arbeitgeber die Vorlage einer Bescheinigung der Pflegekasse oder des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse bzw. bei privater Pflegeversicherung den Nachweis durch ein entsprechendes ärztliches Attest fordern. Wie im Bereich der Elternzeit hat der Beschäftigte bei Teilzeitarbeit gegenüber dem Arbeitgeber die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit aufzugeben und eine entsprechende Verteilung der Arbeitszeit schriftlich zu vereinbaren, sofern nicht dringende betriebliche Gründe entgegenstehen.
Auch für den Freistellungszeitraum besteht kein Vergütungsanspruch und dementsprechend auch keine Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. Damit entfällt – anders als bei der sogenannten Akutpflege – der Kranken- und Pflegeversicherungsschutz. Ggf. muss der Versicherungsschutz durch eine freiwillige Mitgliedschaft in der Krankenversicherung sichergestellt werden. Hierzu leistet die jeweilige Pflegekasse einen Zuschuss in Höhe des Mindestbetrages zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die Versicherung in der Arbeitslosenversicherung ist während der Pflegezeit ebenfalls durch die Pflegekasse sichergestellt, sofern die allgemeinen Voraussetzungen gegeben sind. Hinsichtlich der Rentenversicherung ist die Rechtslage komplizierter. Sie sollte vorab mit dem jeweiligen Rentenversicherungsträger geklärt werden.
8. Kündigungsschutz
Für die betreffenden Arbeitnehmer besteht nach Ankündigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung oder bei Ankündigung der Pflegezeit ein Sonderkündigungsschutz, d.h. mit Zugang der Ankündigung darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht mehr kündigen. Entsprechend den Regelungen im Mutterschutzgesetz und im Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit kann in besonderen Fällen eine Kündigung von der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde für zulässig erklärt werden.
Familienpflegezeitgesetz (FPfZG)
Wesentlicher Inhalt des seit dem 01.01.2012 geltenden FPfZG ist, dass die Arbeitszeit des Beschäftigten bis zu einem Mindestumfang von 15 Wochenstunden auf die Dauer von bis zu 24 Monaten verringert werden kann, um die Pflege eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen zu ermöglichen. Um eine materiell existenzsichernde Basis zu gewährleisten, wird das durch die verringerte Arbeitszeit reduzierte Arbeitseinkommen durch den Arbeitgeber aus Bundesmitteln aufgestockt. Nach der Pflegezeit (in der sogenannten Nachpflegephase) behält der Arbeitgeber den Teil des Arbeitsentgelts, der der Aufstockung entsprach, wieder ein und deckt damit das aus Bundesmitteln gewährte Darlehen.
Auf die Regelung besteht von Seiten des Beschäftigten kein Rechtsanspruch. Voraussetzung ist vielmehr in jedem Fall der Abschluss einer Vereinbarung zur Familienpflegezeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ähnlich wie bei der Altersteilzeit. Diese Vereinbarung ist Voraussetzung für den Antrag des Arbeitgebers auf Gewährung eines zinslosen Darlehens durch das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. In die Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind zwingend Regelungen über den Umfang und die Verteilung der Arbeitszeit, Angaben über den Beschäftigten, über die zu pflegende Personen, deren Angehörigenstatus sowie die Dauer der Pflegezeit aufzunehmen; erforderlich ist die Vereinbarung, dass mit dem Ende der Pflegezeit eine „Rückkehr“ mindestens zur ursprünglichen Arbeitszeit erfolgt und weiter, dass der Ausgleich des durch die Aufstockung erlangten Vorteils (Wertguthaben) durch die Kürzung des Entgelts in der Nachpflegephase mit dem gleichen Betrag, der der Aufstockung zugrunde lag, erfolgt.
Hervorzuheben ist weiter, dass der Beschäftigte verpflichtet ist, eine sogenannte Familienpflegezeitversicherung abzuschließen, und zwar bei einem durch das Bundesamt zertifizierten Versicherer, um das Rückzahlungsrisiko aufgrund von Erwerbs- und Berufsunfähigkeit oder Tod abzudecken.
Nach § 9 Abs. 3 FPfZG besteht ebenfalls ein Sonderkündigungsschutz gegenüber arbeitgeberseitigen Kündigungen für die Pflege- und Nachpflegephase, der nur „ausnahmsweise“ und „in besonderen Fällen“ mit Zustimmung der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde durchbrochen werden kann.
Insgesamt sind die Regelungen des FPfZG relativ kompliziert und die gesamte Regelung in Einzelheiten streitträchtig. Der Ansatz für die Vereinbarung von Beruf und Familie ist lobenswert, die Ausführung leider weniger geglückt.
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